Vor 700 Jahren starb Dante Alighieri, einer der berühmtesten Dichter Italiens. Dass dieser Meister der italienischen Sprache auch dem Schweigen eine bedeutsame Rolle zukommen lässt, insbesondere dort, wo es um die so eindrückliche wie lehrreiche Darstellung unterschiedlicher Facetten von Angst geht, zeigt die folgende Lektüre seiner Göttlichen Komödie.

Italien und Italophile gedenken in diesem Jahr dem 700. Todestag von Dante und feiern dabei zugleich die italienische Sprache und Dichtung. Dante Alighieri wurde 1265 in Florenz geboren, 1321 ist er in Ravenna gestorben. Er machte es sich zur Aufgabe, mit der wohl ersten sprachtheoretischen Abhandlung zum Italienischen (De vulgari eloquentia, um 1304 entstanden) dieser ‚Volkssprache‘ einen gleichwertigen Platz neben dem Lateinischen zuzusichern. Mit seiner Divina commedia (um 1309–1321) hat er ihr ein unvergessenes Denkmal gesetzt, das sich wiederum als italienische Replik auf Vergils Aeneis (um 29–19 v.Chr.) verstehen lässt.

In seiner Dichtung wusste Dante aber auch das Potential des Schweigens auszuschöpfen.

Insbesondere wenn es um die Darstellung starker Emotionen geht, die auf eine Affizierung der Lesenden abzielt, vermag das Aussparen oder Problematisieren einer sprachlichen Vermittlung zuweilen mehr zu leisten als lange Beschreibungen oder genaue Bestimmungsversuche. Wie dies konkret im ersten Teil der Commedia – dem Inferno – funktioniert, werde ich im Folgenden zeigen. 

Die Commedia

Die Göttliche Komödie ist eine dreiteilige Verserzählung in Ich-Form. Sie führt den Protagonisten Dante in hundert Gesängen und insgesamt 14233 Versen zunächst in die Hölle (Inferno), dann zum Läuterungsberg/Fegefeuer (Purgatorio) und schließlich ins himmlische Paradies (Paradiso). Geleitet und begleitet wird er von Helferfiguren: Vergil, der Unterwelt entstiegen, weist Dante einen Ausweg aus der Sackgasse seines Lebens, in die dieser sündigend geraten war, indem er ihn eine erkenntnisreiche Reise ins Jenseits antreten lässt. Die Führung ins Paradies wiederum übernimmt die Figur der engelsgleichen Beatrice, die am Ende durch den Hl. Bernhard abgelöst wird. Auf seinem mühevollen Weg begegnet der Protagonist neben mythologischen und biblischen auch historisierbaren Gestalten, die sich insbesondere unter den vielen Büßenden finden. Sie ermöglichen es, Bezüge zu konkreten zeitgenössischen Konflikten herzustellen. In erster Linie dient der Text aber der Vermittlung eines ethischen Wissens, das vor einem heilsgeschichtlichen Hintergrund entfaltet wird.

Ein Wald der Angst

Es mag wohl kaum überraschen, dass im Inferno neben dem Mitleid für die Büßenden die beiden dominanten Gefühle des reisenden Dante Furcht und Angst sind. Die Unterscheidung zwischen einer konkreten objektbezogenen Furcht und eines unbestimmten Angstgefühls lässt sich in der Commedia nicht immer so eindeutig treffen, wie sie fachsprachlich in der Psychologie oder Philosophie – anders als in der Allgemeinsprache – gemacht wird (siehe hierzu den Eintrag ‚Angst‘ im Duden). Schließlich erscheint auch in der Commedia die Hölle als ein für Sterbliche nur Strafen, Leid und Qualen verheißender Ort. Für den Protagonisten ist die Angst gewissermaßen die Initialzündung seiner Reise, noch bevor er auf Vergil trifft, mit dem er das Tor zur Unterwelt durchschreiten und neun trichterförmig zum Höllengrund führende Höllenkreise durchwandern wird. Denn schon seine eigenen Verfehlungen, die der Sprecher metaphorisch verdeutlicht und damit zugleich unbestimmt lässt, versetzen Dante in Schrecken. 

Nell mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura,
che la diritta via era smarrita.
Ahi quanto a dir qual era è cosa dura
esta selva selvaggia e aspra e forte
che nel pensier rinova la paura!
(Inf. I, 1–6)

Auf der Hälfte des Weges unseres Lebens 
fand ich mich in einem finsteren Wald wieder, 
denn der gerade Weg war verloren.
Ach, es fällt so schwer zu sagen, wie er war, 
dieser Wald, so wild und garstig und dicht,
der mir noch immer Angst macht, wenn ich daran denke! Das italienische Original wird zitiert nach: Dante Alighieri, Commedia, hg. v. Anna Maria Chiavacci Leonardi, 3 Bde., Mailand 1991, Bd. 1 (im Folgenden abgekürzt mit C). Die Übersetzung folgt: Dante Alighieri, La Commedia – Die Göttliche Komödie, Bd. 1: Inferno/Hölle, in Prosa übers. u. komm. v. Hartmut Köhler, Ditzingen 2021.

Das Bild des dunklen, wilden und unüberschaubaren Waldes dient der Veranschaulichung sündigen Irrens und eines Gefühls der hilflosen Verlorenheit. Der düstere Wald versinnbildlicht zugleich menschliches Versagen und damit verbundene Ängste. Die Eindrücklichkeit dieses Waldes menschlichen Irrens und Bangens wird noch verstärkt, indem die Affizierung des Protagonisten als zeitlos ausgewiesen wird – als vergangene Beklemmung, deren Erinnerung aber auch in der Gegenwart nur zu lebendig ist, die gleichermaßen das erlebende wie erzählende Ich erfüllt.

Zugleich stellt der Sprecher aber auch die Schwierigkeit heraus, die richtigen Worte zu finden, die diesen Wald der Angst beschreiben könnten.

Die polysyndetische Aneinanderreihung von drei Adjektiven (selvaggia e aspra e forte) deutet an, dass mehr und mehr Eigenschaften hinzugefügt werden könnten, um die Beschaffenheit des Waldes noch genauer zu charakterisieren. Aber würde sich das metaphorische Bild dadurch besser erfassen lassen? Regt das Problematisieren der sprachlichen Darstellbarkeit die Lesenden nicht vielmehr zu je eigenen dunklen Vorstellungsbildern eines angsteinflößenden Waldes an?

Nur ein Topos?

Es ließe sich einwenden, dass man es bei dem Vers „Ach, es fällt so schwer zu sagen, wie er war“ nur mit einem Gemeinplatz zu tun hat, wie er seit der Antike zu finden ist: dem Topos der Unsagbarkeit. Schon für Homer und auch andere Autoren verzeichnet der Literaturwissenschaftler Ernst Robert Curtius eine „Betonung der Unfähigkeit, dem Stoff gerecht zu werden“. Versichert werde auch immer wieder, so Curtius, „der Autor bringe nur weniges von dem Vielen vor, das er zu sagen habe“. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen/Basel 111993, S. 168.

Zu bedenken ist in jedem Fall, dass das Explizieren von Ausdrucksgrenzen ganz unterschiedliche Funktionen entfalten kann.

Bei Lobreden auf Herrscher handelt es sich meist um einen nobilitierenden Kunstgriff. Wenn dagegen Politiker:innen in öffentlichen Reaktionen auf dramatische Ereignisse ihre Sprachlosigkeit mitteilen, so lässt sich das als eine erwartbare Antwort auf reale Erwartungen, „eine sozial akzeptierte Verhaltensweise“ begreifen, wie die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Gülich betont hat: „Dem Bundespräsidenten, dem Ministerpräsidenten oder dem Schulamtsleiter dürfen nicht wirklich die Worte fehlen; er darf nicht einfach schweigen, sondern er muss sagen, dass ihm die Worte fehlen.“ Elisabeth Gülich, „Unbeschreibbarkeit: Rhetorischer Topos – Gattungsmerkmal – Formulierungsressource“, Gesprächsforschung. Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 6 (2005), S. 222–244, hier S. 225. Ganz anders liegt wiederum der Fall, wenn Plotin (205–270) die Ausdrückbarkeit des immateriellen Einen verneint: „Wir sagen ja aus, was es nicht ist, und was es ist, das sagen wir nicht aus“. Plotin, Enneaden, V 3, 14; Ausgabe in Plotins Schriften, Bd. V, übers. v. Richard Harder, Neubearbeitung mit griechischem Lesetext u. Anmerkungen v. Rudolf Beutler u. Willy Theiler, Hamburg 1960. In ähnlicher Weise hat Pseudo-Dionysius Areopagita (6. Jh. n.Chr.) mit seinem Konzept einer negativen Theologie die Möglichkeit von Aussagen zur Erfassung von Gott und seiner Transzendenz infrage gestellt. Es zeigt sich, dass dem zu unterschiedlichsten Anlässen und in verschiedensten Kontexten immer wieder begegnenden Ausstellen von Unsagbarkeit vielfältige Wirkweisen und auch Grade an Ausdruckskraft zukommen können.

Im Inferno wird dieses Mittel sehr gezielt eingesetzt. Insgesamt wird nur an sehr wenigen Stellen ein sprachliches Unvermögen zum Ausdruck gebracht: an der bereits erwähnten Stelle ganz zu Beginn und am Ende der Höllenreise, worauf ich gleich noch genauer eingehen werde. In beiden Fällen geht es um die Vermittlung eines bestimmten Gefühls und eine damit verbundene Affizierung der Lesenden. 

Die Vermittlung von Angst und Furcht im Inferno

Furcht ist in unterschiedlichen Facetten ein ständiger Begleiter des Wanderers Dante. Sie kann visuell durch Farben ausgelöst werden, wenn bspw. die Röte („rossore“) eines kleinen Flüsschens („picciol fiumicello“) das Ich erschaudern lässt („mi raccapriccia“) (Inf. XIV, 78), oder auch akustisch durch schrille Schreie entstehen (Inf. IX, 51). Die Angst des Protagonisten wird vielfach schlicht benannt, etwa wenn er einen Anflug der Unsicherheit seines Führers Vergil wahrnimmt (Inf. IX, 13). Immer wieder wird sie durch Vergleiche veranschaulicht (Inf. XVII, 85–88; XVII, 106–114) oder aber mittels direkter Leseransprachen kommuniziert. So konfrontieren bspw. angriffslustige Sünder den Reisenden mit dem Szenario, von Vergil verlassen nicht mehr den Ausweg aus der Hölle zu finden, wozu der Sprecher anmerkt: „Pensa, lettor, se io mi sconfortai“ – „Du kannst dir denken, Leser, wie verzagt ich war“ (Inf. VIII, 94). Zuweilen erfolgt auch eine Verallgemeinerung der Angst, die deutlich den erbaulichen Charakter von Dantes Commedia zu erkennen gibt:

O vendetta di Dio, quanto tu dei
esser temuta da ciascun che legge
ciò che fu manifesto a li occhi mei!
 
(Inf. XIV, 16–18)

O Rache Gottes, wie muss dich doch 
ein jeder fürchten, der hier liest, 
was sich da meinen Augen zeigte!

Dass es sich bei den angsteinflößenden Eindrücken um außergewöhnliche Schreckensmomente, eine ungekannte Art der Beklemmung handelt, die der Protagonist auf seiner Jenseitsreise erlebt, verdeutlicht zudem ein spezifischer Wortgebrauch. So kommen Wörter wie „maravigliosa“ (Inf. XVI, 132), „mirabilmente“ (Inf. XXI, 6) und „meraviglia“ (Inf. XXXIV, 37) zum Einsatz. Sie suggerieren keineswegs eine ‚wunderbare‘ Beschaffenheit der Hölle im positiven Sinne, sondern sind mit einem angstvollen Staunen – einem Erschrecken – verbunden. Vgl. zu „maraviglioso“ C, S. 504, Anm. 132 und auch den Eintrag in der Enciclopedia Treccani. Zugleich erlaubt diese Wortwahl, Bedeutungsdimensionen des Ungewöhnlichen, Unglaublichen, Übernatürlichen mitzutransportieren, die der Höllenangst ihren besonderen Status im Vergleich zu anderen Ängsten verleihen.

Vielsagendes Schweigen 

Die Furcht vor dem Eintritt in die Unterwelt löst die stärkste körperliche Reaktion des Protagonisten aus. Als es darum geht, die Vorhölle zu verlassen und die Überfahrt über den Acheron anzutreten, bebt und dampft die Erde, ein rotes Licht blitzt auf (Inf. III, 130–134). In der Metaphorik einer Naturkatastrophe erfährt die Bedrohlichkeit ihre Zuspitzung. Und so verliert Dante, überwältigt von seiner Furcht, das Bewusstsein: „e caddi come l’uom che cui sonno piglia“ – „und ich sank hin wie vom Schlaf überwältigt“ (Inf. III, 136). Bezeichnenderweise endet damit der dritte Gesang. Zu Beginn des vierten Gesangs kommt Dante wieder zu sich, geweckt durch schweres Donnergrollen (Inf. IV, 2). Von der Überfahrt ist nun nicht mehr die Rede. Es bedarf keines goldenen Zweiges wie in Vergils Aeneis, keines Losungswortes wie bspw. im Thomasevangelium. Wie Vergil und Dante den Fluss überquert haben, wird nicht geschildert.

Eine Ellipse vermittelt ihren Weg in die Unterwelt.

Mit diesem Schweigen bewahrt der Übergang von der diesseitigen in die jenseitige Welt sein Geheimnis. Es ist ein bedeutungsreiches Aussparen, ein vielsagendes Nicht-Erzählen, das an dieser Schlüsselstelle das Unglaubliche unerklärt lässt, um es in seiner Unbegreiflichkeit noch zu steigern. Der kollabierende Körper lässt uns Lesende hierbei die Ungeheuerlichkeit des Übertritts ins Höllenreich spüren. Zugleich trifft uns das Geschilderte durch eine fühlbare, sehbare und hörbare Plötzlichkeit, die alle Sinne anspricht: Erschütterung und Blitz stehen unmittelbar vor der Ohnmacht, ein Donnerschlag beendet sie. Die Ellipse unterstreicht diese Schlagartigkeit: Ehe man sich versieht, befindet man sich an einem anderen Ort – im Jenseits.

Unsagbare Angst

Den Gipfel von Furcht und Angst erlebt der Wanderer Dante schließlich am Endpunkt der Hölle. Nachdem er mit Vergil in den vorangegangenen Gesängen durch acht Höllenkreise geschritten ist, wo die Schuldigen verschiedener Sünden – etwa von Maßlosigkeit, Gewalt, Ketzerei und Betrug – höchst plastischen Strafen zugeführt wurden, gelangt er im 32. Gesang schließlich in den neunten Kreis der Eishölle. Der Sprecher beklagt, über keine Dichtungssprache zu verfügen, die das dort Erlebte angemessen zum Ausdruck bringen könne („S’ïo avessi le rime aspre e chiocce, / come si converrebbe al tristo buco“ – „Hätte ich nur die harschen, heiseren Laute, wie sie dem trostlosen Loch angemessen wären“, Inf. XXXII, 1–2). Sorgenvoll habe er sich daher an diese Aufgabe gemacht („non sanza tema a dicer mi conduco“ – „kann ich mich nicht ohne Bangen ans Dichten begeben“, Inf. XXXII, 6). Er hofft aber auf die Hilfe der Musen (vgl. Inf. XXXII, 10–12). Ähnlich wie zu Beginn der Commedia wird hier die Schwierigkeit, über diesen Ort – die Hölle – zu sprechen, explizit gemacht („onde parlare è duro“ – „von dem zu sprechen mich hart ankommt“, Inf. XXXII, 14). Die Problematisierung der sprachlichen Erfassbarkeit markiert das gesteigerte Grauen des neunten und zugleich letzten Höllenkreises.

Es bleibt schließlich nur ausdrückliches Schweigen. Nur auf diese Weise kann die maximale Furcht zum Ausdruck gebracht werden, die den Reisenden im Angesicht des Teufels packt.

Com’ io divenni allor gelato e fioco,
nol dimandar, lettor, ch’i’ non lo scrivo,
però ch’ogni parlar sarebbe poco. 
Io non mori’ e non rimasi vivo;
pensa oggimai per te, s’hai fior d’ingegno,
qual io divenni, d’uno e d’altro privo.

(Inf. XXXIV, 16–18)

Wie eiskalt und schwach mir da wurde,
frag nicht danach, Leser, ich schreibe es nicht auf,
denn jedes Reden wäre unzulänglich.
Ich starb nicht hin und blieb auch nicht lebendig;
denk dir’s jetzt selber aus, wenn du ein Blättchen Phantasie hast,
was da aus mir wurde, wo ich den Tod nicht hatte, und das Leben auch nicht.

Der Sprecher benennt körperliche Empfindungen, die durch die Furcht ausgelöst werden, bricht die Kommunikation unter direkter Adressierung der Leserschaft dann aber ab. Im zweiten Anlauf startet er den Versuch, mittels Antithesen einen Eindruck dieses unmöglichen Zustands zu vermitteln. Doch auch diese Gegensätze werden überführt in einen Appell an die Rezipierenden, ihre Vorstellungskraft zu aktivieren und selbständig dem Gefühl in Gedanken nachzuspüren. Dass die Möglichkeit einer sprachlichen Vermittlung dieser unsteigerbaren Angst negiert wird, ist somit keineswegs als ein kommunikatives Scheitern zu werten, sondern stellt eine Art des negativen Transfers dar mit höchst produktiven Folgen. Siehe Şirin Dadaş/Christian Vogel (Hg.), Dynamiken der Negation – (Nicht)Wissen und negativer Transfer in vormodernen Kulturen, Wiesbaden 2021. 

Der Negation kommt hier eine imaginationsanregende Funktion zu.

Sie ermöglicht ein besonderes Mitfühlen und Mitfürchten, indem die Vergegenwärtigung eigener Angsterfahrungen und -phantasien unmittelbar angeregt wird. Eben dieses Mitfühlen der zeitgenössischen Leserschaft war entscheidend, um das moralische Wissen eines christlichen Weltbildes zu vermitteln, wie es Dantes Commedia zugrunde liegt.

Die Problematisierung sprachlicher Erfassbarkeit sowie der explizite und implizite Äußerungsverzicht im Inferno erweisen sich angesichts der aufgezeigten Potentiale – insbesondere bei der Vermittlung von Angst und Furcht – als effektive Darstellungsstrategien. Mitunter zeugen sie von einem „grundlegenden Darstellungsproblem“ der Commedia, wie es bei der Schilderung einer Jenseitsreise zu erwarten ist, die „Dinge, Erscheinungen, Begegnungen darstellen [will], die per definitionem nicht darstellbar sind, weil sie sich außerhalb menschlicher Wahrnehmung ereignen.“ Thomas Klinkert, „Dunkelheit und Licht in Dantes Commedia und die Selbstreflexion des Sprechens über das Unsagbare“, in: Engagement und Diversität: Frank-Rutger Hausmann zum 75. Geburtstag, hg. v. Wolfgang Asholt, Ursula Bähler, Bernhard Hurch, Henning Krauss u. Kai Nonnenmacher, München 2019, S. 297–314, hier S. 311. Bislang wurde dieser Aspekt der Darstellung des Undarstellbaren v.a. für Dantes Paradiso in den Blick genommen (siehe etwa Hermann H. Wetzel, „Wie über das Paradies reden?“, Deutsches Dante-Jahrbuch 83 (2008), S. 115–136; Cornelia Klettke, „Paradiesmystik im Grenzbereich des Nicht-Darstellbaren. Par. XXX: Dantes Wortgemälde und Botticellis Zeichnung. Analyse eines Medienwechsels“, in: Letteratura e arte 8 (2010), S. 55–83; Karlheinz Stierle, „‚Umbriferi prefazi‘. Licht, Farbe und mediale Metamorphosen in Dantes Paradiso“, Deutsches Dante-Jahrbuch 85/86 (2010/2011), S. 103–129). Zugleich aber bieten das problematisierte Beschreiben, die Ellipse oder das markierte Schweigen ernstzunehmende Auswege aus dem Dilemma, das sie anzeigen: als Versuche, das Unbenennbare zu benennen. Indem über den Übergang ins Jenseits ostentativ geschwiegen wird, bleibt das Geheimnis um das in der Fiktion ermöglichte Unmögliche gewahrt. Und indem eine unaussprechliche Angst als solche benannt wird, wird sie andeutungsweise vermittelt. Erst mit diesem Moment des unbestimmten Andeutens können die Rezipierenden herausgefordert werden, die Lücke in ihrer Vorstellungskraft zu füllen. Und nur so können sie in ihrer Imagination ein Angstgefühl kreieren, das ihre Erfahrungen von Furcht angesichts realer Gefahren übersteigt.

Şirin Dadaş ist Romanistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung“.

Der Beitrag ist Teil der Serie Konstellationen der Affizierung.