Aristoteles schätzt die Epen Homers für ihre Qualität und den Kunstgenuss, den sie bereiten. Zugleich setzt Aristoteles das Homerzitat produktiv im Wissenschaftsdiskurs ein. Welche Bedeutung kommt dem Dichter Homer für die Wissensvermittlung des antiken Philosophen zu?
Seit der Antike und darüber hinaus haben die Epen Homers, Ilias und Odyssee, in der Wissensgeschichte ihre Wirkung entfaltet und haben in Kunst, Literatur und Philosophie ihre (epistemischen) Spuren hinterlassen. Schon in der Antike bildeten Homer und seine Werke für Dichter, Künstler, Philosophen und in der gebildeten Gesellschaft einen bedeutsamen Bezugspunkt für unterschiedliche Praktiken der Referenz.
Homer galt als Bildungsgrundlage, Lehrmeister und Dichtervorbild – als der Dichter schlechthin oder göttlichster Dichter unter allen – und diente stets auch als Wissens- und Inspirationsquelle, aus der man immer wieder (neu) gewinnbringend schöpfte.
Man bezog sich auf Homer in den eigenen Diskursen und in der poetischen und künstlerischen Gestaltung durch Zitate, Verweise, durch Formen der Imitation und Allusion, machte den Dichter und seine Kunst vielfach aber auch zum Ausgangspunkt einer kritischen und kreativen Auseinandersetzung. Wissensinhalte mit Bezug zu Homer und zu seinen Erzählungen haben auf diese Weise durch vielfältige Formen des Transfers in diesen neuen Kontexten jeweils eigene Wissensprozesse angeregt und mitgestaltet. Siehe hierzu Sandra Erker, Homerbildung und Homerreferenz in der Wissensoikonomie vom 6. bis zum 4. Jh. v. Chr., in: Working Paper des SFB 980 Episteme in Bewegung (im Erscheinen), Freie Universität, S. 1–39.
So traten seit dem 5. Jh. v. Chr. beispielsweise die Dichter im antiken Theater in Athen mit Homer in einen literarischen Wettstreit. Denn für das gebildete Theaterpublikum brachten sie eigene Erzählvarianten der bekannten Handlungen in ihren Dramen auf die Bühne und schrieben sich zugleich mit ihrer Kunst durch unterschiedliche Praktiken der Homerreferenz – durch Imitationen, Allusionen oder sprachliche Reminiszenzen – in die Tradition des großen Dichters ein. Aber nicht nur Wissen zu Homer oder zu Erzählungen aus vergangenen Zeiten, sondern auch zeitgenössische Themen aus Politik, Gesellschaft, Philosophie und Religion flossen in die Tragödien und Komödien ein und wurden auf der Bühne für das Theaterpublikum literarisch ausgehandelt und reflektiert. Mit Referenzen auf den göttlichen Homer wurden Dichtertraditionen und Wissen daher nicht nur wiederholt, bewahrt oder tradiert, sondern außerdem auch neue Erzählvarianten und Literaturformen generiert, wurden Geltungsansprüche ausgehandelt, neue Einsichten vermittelt oder Wissensinhalte kritisch hinterfragt.
So nahmen z. B. die Sophisten und Rhetoriklehrer seit dem 5. Jh. v. Chr. Bezug auf den Literaturklassiker, der zu diesem Zeitpunkt bereits zum festen Bestandteil in der Schulbildung der gebildeten Oberschicht Athens avanciert war. An den bekannten Bildungsinhalten schulten die Sophisten ihre rhetorischen Praktiken, schrieben sich in den traditionellen und zeitgenössischen Bildungsdiskurs ein und übertrafen den großen Dichter durch Techniken der Überwindung und des Widerspruchs effektvoll vor ihrem Publikum.
In Auseinandersetzung mit Homer, aber auch mit anderen berühmten Dichtern demonstrierten die Sophisten dadurch die Wirkmacht ihrer Überredungskünste und ihre Bildungsansprüche.
Vehement wendet sich gegen diese Redekunst vor Aristoteles bereits Platon in seinen Dialogen. Sowohl das Rhetorikverständnis, mit dem die Sophisten nicht an der Wahrheitssuche, sondern an bloßen Techniken der Manipulation und Täuschung interessiert gewesen seien, als auch die damit verbundenen Formen einer Literaturkritik, die rhetorisch instrumentalisiert werde, statt sich der Dichtung produktiv zuzuwenden, unterzieht Platon einer scharfen Kritik. In seinem Dialog Protagoras lässt er dazu den gleichnamigen Sophisten mit einer Kostprobe seiner Dichterkritik auftreten. Und zugleich unterwandert Platon dabei in der Dialoghandlung kunstvoll den Bildungsanspruch des bekannten Rhetoriklehrers: Obwohl Protagoras selbstbewusst einfordert, Lehrmeister in allem und für jeden zu sein, und erwartet, dass jeder, der umfassend gebildet sei, die Werke der Dichter kenne und in der Lage sei, sie zu verstehen, zu erklären und einer kunstverständigen Literaturkritik zu unterziehen, scheitert er selbst daran maßlos im anschließenden Gespräch. Sukzessive deckt Sokrates durch seine Fragen auf, dass Protagoras mit seiner Dichterkritik von Widersprüchen ausgeht, die sich weder auf die poetische Qualität noch auf den Gegenstand oder die Darstellungsweise der kritisierten Dichtung zurückführen lassen. Seine Kritik kommt allein durch eine falsche Meinung, d. h. durch die Konfusion von Unterschieden in seiner eigenen Rede zustande. Weder übt Protagoras nach der Darstellung Platons im Dialog also richtig Kritik an dem, was Dichtung leistet oder worauf sie sich bezieht, noch setzt er sich mit Hilfe der Dichtung mit Einsichten auseinander, die sich für die Wahrheitssuche des Philosophen gewinnen oder produktiv aushandeln ließen. Siehe hierzu Sandra Erker, Platon und die Homerreferenz als Instrument der Dialogkomposition, Wissensvermittlung und Erkenntnisdidaktik, in: Working Paper des SFB 980 Episteme in Bewegung (im Erscheinen), Freie Universität, S. 1–31.
In diese Debatte um Dichtung und ihr Verhältnis zu Philosophie und Rhetorik schreibt sich in der Folge auch Aristoteles mit seinen Lehrschriften, den sogenannten Pragmatien, ein. Dabei schließt er mit eigenen Praktiken des Dichterzitats an eine Wissensgemeinschaft an, in der die Homerreferenz wie skizziert allgegenwärtig war und doch von bestimmten Akteuren für bestimmte Adressaten im jeweiligen Kontext immer wieder neu und eigens funktionalisiert, gedeutet und angewendet wurde.
Welche Veränderungen erfährt also die Praktik des Homerzitats und das damit verbundene Narrativ von der Göttlichkeit des Dichters, wenn sie in die wissenschaftlichen Abhandlungen des Aristoteles und in sein Methodenarsenal wandern?
Oder anders gefragt: Wie funktionalisiert Aristoteles diese Argumentationspraktik für sein eigenes Verfahren und welche Bedeutung weist er im Kontext seiner Forschungsarbeit und Lehrtätigkeit Homer und dem Dichterzitat für den Erkenntnisprozess und die philosophische Betrachtung zu?
Werfen wir dazu zunächst einen Blick in die überlieferten Lehrschriften des Aristoteles und auf die Verteilung und Anwendung des Dichterzitats. Verfasst waren die wissenschaftlichen Abhandlungen, die uns Einblick in die Arbeitsweise des Aristoteles bieten, für bestimmte Adressaten im Schulkontext. Sie umfassen ein äußerst breites und diverses Spektrum an Wissenschaftsdisziplinen – von den zahlreichen Lehrschriften aus dem Bereich der Naturwissenschaften, darunter z. B. Physik, Biologie bzw. Zoologie, Kosmologie und Wetterkunde, über Schriften zur Sprachtheorie, Logik, Psychologie, Ethik, Politik, Rhetorik und Literaturwissenschaft bis hin zu Wissenschaftstheorie und Metaphysik. Dass sich Aristoteles außerdem intensiv mit Homer selbst auseinandergesetzt hat und zwar mit philologischen und literaturwissenschaftlichen Methoden, die später zu einem wichtigen Impulsgeber für die Homerphilologie in Alexandria in hellenistischer Zeit wurden, belegt eine überschaubare Anzahl an Fragmenten, die uns aus den sogenannten Aporemata Homerica (Homeraporien) erhalten sind. Barbara Breitenberger, Literaturwissenschaft, Sympotisches, Poesie, in: Hellmut Flashar, Uwe Dubielzig, Barbara Breitenberger (Hgg.), Aristoteles. Fragmente zu Philosophie, Rhetorik, Poetik, Dichtung, übersetzt und erläutert von H. Flashar, U. Dubielzig, B. Breitenberger, Berlin 2006 (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 20/I), S. 289–448, hier: S. 305–321 (Übersetzung), S. 324–325 (Erläuterungen), S. 369–430 (Kommentar).
In der Sammlung, die ursprünglich drei Bücher (d. h. Papyrusrollen) umfasst haben soll, setzt sich Aristoteles mit schwierigen Stellen in den Epen Homers auseinander und diskutiert Fragen, die in der Homerkritik vor ihm aufgeworfen wurden. Bei seinen Lösungsvorschlägen verfährt er nach Kriterien, die er selbst in seiner Poetik theoretisch begründet und dort in Auseinandersetzung mit zahlreichen Beispielen aus der Dichtung entwickelt.
Unangefochten nimmt Homer auch in der Poetik des Aristoteles aufgrund der außergewöhnlichen Qualität seiner Dichtung den ersten Rang unter allen Dichtern ein. Als erster und hinreichend habe Homer bereits wesentliche Charakteristika kunstgemäß verfasster Literatur umgesetzt. Aus diesem Grund könne er als göttergleich gelten, wie Aristoteles das bekannte Narrativ im Kontext seiner eigenen literaturtheoretischen Betrachtung neu perspektiviert. Homer habe sich bei seiner Darstellung auf eine Handlungskomposition konzentriert, die sich in all ihren Teilen auf einen bestimmten Charakter eines Menschen – auf sein Denken, Fühlen und Entscheiden – zurückführen und daher nachvollziehen lasse. Worin besteht das Glück im Leben? Wie muss der Mensch handeln, um es zu erreichen? Und wie scheitert er durch Fehler im eigenen Erkennen und Entscheiden? Während der Philosoph solchen Fragen selbst und theoretisch auf den Grund geht, muss der Dichter diese Einsichten richtig voraussetzen, um eine gelungene Handlung mit glaubwürdigen Charakteren darzustellen. Denn an der Handlungsdarstellung muss sich nachvollziehen lassen, dass in der Dichtung bestimmte Menschen erkennen, fühlen, handeln, aus bestimmten Gründen richtige oder falsche Entscheidungen treffen und dadurch ihr Glück im Leben erreichen oder scheitern. Dichtung, die in diesem Sinne kunstgemäß verfasst ist, bereitet schon selbst Freude bei der Betrachtung, da sie nach Aristoteles grundlegende Erkenntnisvermögen im Menschen affiziert. Wie Aristoteles im 9. Kapitel der Poetik reflektiert, ist eine solche Dichtung daher aber auch anschlussfähig für die philosophische Betrachtung. Denn an und mit Handlungsbeispielen aus der Dichtung lassen sich durch den Philosophen besonders gut eben jene Wissensinhalte selbst reflektieren, an denen die gut verfasste Dichtung notwendig orientiert ist: z.B. was den Menschen wesentlich bestimmt und wie sich die Bedingungen und Ziele seines Handelns für das eigene Glück und für das gute und gerechte Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft bestimmen lassen. Vgl. mit Übersetzung und Kommentierung der Poetik: Arbogast Schmitt, Aristoteles. Poetik, übersetzt und erläutert von Arbogast Schmitt, 2., durchgesehene und ergänzte Auflage, Berlin 2011 (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 5).
Blickt man auf die Referenzierpraktiken und die Verteilung von Dichterzitaten in den Pragmatien, spiegeln sich dieser Literaturbegriff und das theoretisch fundierte Urteil über Homer und seine Dichtung ebenso in den konkreten Methoden und Argumentationspraktiken des Aristoteles wider. Bevorzugt und zahlreich setzt er Dichterzitate – und an erster Stelle Homerzitate – in seinen Ethiken, in der Rhetorik, Politik und Poetik ein, integriert sie in das allgemeine Verfahren dieser Lehrschriften und beteiligt das Dichterzitat somit an der fortschreitenden Vermittlung von Wissensinhalten.
Vor allem Beispiele aus den Epen Homers arbeitet Aristoteles als Zitate in seine Argumentation ein, wenn er in der Nikomachischen Ethik seine theoretischen Betrachtungen zu Charakterbildung und Gefühlen oder zu den Bedingungen richtiger Handlungsentscheidung entwickelt. Vergleichbar erweisen sich auch für die Gegenstände in der Politik Beispiele aus den Epen Homers als gewinnbringend, wenn Aristoteles auf Homer für seine Verfassungsdebatten zurückgreift. In der Rhetorik zieht Aristoteles Homerzitate bei der theoretischen Betrachtung von Methode und Gegenstand der Redekunst, als sprachlich-stilistische Vorbilder und als Orientierungspunkt für die gelungene Komposition einer Rede heran. Genannt seien hier einzelne Beispiele: So verweist Aristoteles im zweiten Buch auf die gelungene Darstellung Achills, um zu erklären, aus welchen Gründen Zorn entsteht, in welchen Handlungszusammenhängen er angemessen ist oder nicht und wie man daher einen Menschen am besten mit einer kunstgemäßen Rede davon abbringt. Im dritten Buch dient Homer als stilistisches Vorbild: Zahlreich und gekonnt habe der große Dichter auf Metapher und Vergleich zurückgegriffen und z.B. Achill gelungen mit einem Löwen verglichen. Schrittweise entfaltet Aristoteles mit dem Beispiel seine theoretischen Überlegungen zu der Funktionsweise und angemessenen Verwendung dieser Stilmittel. Von Homer könne man außerdem lernen, wie man eine gute Rede aufbaut und wie man den Zuhörer bereits am Anfang auf die folgenden Teile der Rede vorbereitet.
Das Homerzitat kommt in diesen Pragmatien zahlreich zum Einsatz und unterstützt die fortschreitende Ausdifferenzierung der wissenschaftlichen Betrachtung.
Das Zitat trägt in der jeweiligen Pragmatie zugeschnitten auf ihren Gegenstand zu der Wissensbildung der Adressaten bei und wird von Aristoteles im konkreten Diskussionszusammenhang für die jeweilige Fragestellung – der Ethik, Politik oder Rhetorik – ausgedeutet und beleuchtet.
Zumindest punktuell, vereinzelt oder selten zieht Aristoteles das Homer- oder Dichterzitat auch in anderen Pragmatien heran. Genannt seien hier exemplarisch folgende Fälle: In seinen zoologischen Schriften erinnert er an Passagen aus den Epen Homers oder an Diskurse aus der Homerkritik, um diese Forschungsfragen aus dem Bereich seiner Homerstudien für zoologische Wissensinhalte und entsprechende Erörterungen produktiv zu machen. Der Knochen, der das Gehirn umgebe, sei bei dem Pferd dünner als bei anderen Lebewesen. Ein Schlag auf diese Stelle sei daher für das Tier tödlich, was bereits Homer bei seiner Darstellung beachtet habe, wie Aristoteles mit einem Zitat reflektiert. An anderer Stelle knüpft Aristoteles an eine Diskussion aus der Homerphilologie an und integriert die Debatte in seine Argumentation: Falsche Ansichten über Lage und Funktion des Zwerchfells, die Aristoteles korrigiert, hätten manche Homerkritiker dazu gebracht, eine falsche Korrektur an einem Vers bei Homer vorzunehmen. Wie sich an dieser Stelle zeigt, werden Forschungsinteressen zu Homer, zur Homerphilologie und zur Zoologie von Aristoteles punktuell im Argument in Beziehung zueinander gesetzt, miteinander vernetzt und für das fortlaufende Argument ausgehandelt. In De anima (Über die Seele) zieht Aristoteles Homerzitate heran, wenn er sich mit naturphilosophischen Positionen und einer davon beeinflussten Homerdeutung kritisch auseinandersetzt, um Fragen aus dem Bereich der Seelentheorie zu betrachten. Wenn Aristoteles in der Metaphysik die Ordnung des Seienden diskutiert und einfordert, man müsse sie auf ein bestimmtes, einzelnes Prinzip zurückführen, damit sie richtig verfasst sei, vergleicht er diesen Sachverhalt mit einer entsprechenden Verfassung im Staat und zieht in aller Kürze als Beispiel ein passendes Homerzitat heran, das er (unter einer anderen Perspektive) auch in der Politik im Zuge seiner Verfassungsdiskussion behandelt.
In diesen und ähnlichen Fällen werden an dem Transfer von Dichter- und Homerzitaten und ihrer jeweiligen Funktionalisierung im neuen Argumentationskontext Spuren der Vernetzung und Synergieeffekte im Forschungs- und Arbeitsprozess des Aristoteles sichtbar. Aristoteles reflektiert diese Vernetzungen punktuell im Argument, wenn er für seine Adressaten, die Einblick in die verschiedenen Diskussionszusammenhänge und Lehrinhalte im Schulkontext haben, an gemeinsame oder verwandte Argumentationen unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen bzw. Lehrschriften erinnert. Die Beschäftigung mit Dichtung und insbesondere mit Homer und Fragen aus der Literaturwissenschaft wirken somit subkutan in unterschiedliche Forschungsinteressen und Praktiken der Wissensvermittlung des Aristoteles hinein und werden durch diese wiederum reziprok bereichert. Sie bilden für Aristoteles einen wichtigen Bezugspunkt in seiner Forschungsarbeit und Lehrtätigkeit. Siehe hierzu Sandra Erker, Aristoteles und das Homerzitat als Spur reziproker Forschungsprozesse, als Argumentationspraktik und Vermittlungsstrategie, in: Working Paper des SFB 980 Episteme in Bewegung (im Erscheinen), Freie Universität, S. 1–55.
Der reflektierte und produktive Umgang mit Dichtung, den Aristoteles in seiner Poetik theoretisch einfordert und in den übrigen Pragmatien durch Praktiken der Referenz in seinem Argumentationsverfahren als philosophische Praxis demonstriert, bietet nicht nur einen spannenden Einblick in den Arbeitsprozess des antiken Philosophen und den Schulkontext seiner Lehrschriften. Er lässt sich darüber hinaus auch als Plädoyer für die gewinnbringende Beschäftigung mit (antiker) Literatur lesen.
Weder für Aristoteles noch für uns hat sie an Bedeutung, hat das, was in der Dichtung im Bereich menschlichen Handelns literarisch ausgehandelt wird, an philosophischer Brisanz oder gesellschaftlicher Relevanz verloren.
Aristoteles schätzt einerseits die poetische Qualität der zitierten Werke, darunter v. a. die Epen Homers, durch die sie als literarische Werke grundlegende Erkenntnisvermögen des Menschen affizieren und daher für sich bereits Freude bereiten. Andererseits zeichnen sie sich nach Aristoteles durch ihre epistemische Anschlussfähigkeit für Fragen der Philosophie aus. Gelungene Beispiele aus der Literatur lassen sich nach Aristoteles daher auch für die wissenschaftliche Aushandlung vor allem von Fragen aus dem Bereich der Ethik, Politik, und Rhetorik heranziehen. Sie regen den Philosophen durch gezielte Referenz und Neukontextualisierung im Argument zum kritischen Nachdenken an, unterstützen seinen Erkenntnisprozess und die didaktische Vermittlung von Wissensinhalten: darüber, wie man handeln soll, wie man Gefühle und Charakter bilden kann, worin für den Menschen das Glück im Leben und im Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft besteht, aber auch, wie man davon richtig überzeugt und welche Einsichten sich für den theoretischen Diskurs durch eine reflektierte Auseinandersetzung mit Literatur gewinnen lassen.
Sandra Erker ist Klassische Philologin und arbeitet als Post-Doc im Sonderforschungsbereich 980 Episteme in Bewegung.
Dieser Artikel ist der erste Beitrag der Serie Referenzen.