Gab es bereits im frühen Mittelalter so etwas wie eine „Globalisierung“? Und wie könnte sie ausgesehen haben? Eine Münze aus dem 8. Jahrhundert liefert darauf Hinweise.

In der Münzsammlung des British Museum finden sich viele faszinierende Objekte, eines aber sticht als besonders kurios hervor: Eine Goldmünze, die wie ein arabischer Dinar aussieht, neben arabischen Schriftzeichen aber auch eine lateinische Inschrift trägt, den Titel „Offa rex“ („König Offa“). Tatsächlich wurde die Münze keinesfalls im östlichen Mittelmeerraum geprägt, sondern im frühmittelalterlichen Britannien. Erstmals erwähnt wird sie jedoch in Rom, von wo aus sie ihren Weg ins British Museum fand. In diesem Beitrag erklären wir, was es mit dieser Münze auf sich hat und was sie uns über interkulturelle Beziehungen im Frühmittelalter sagen kann.

Kaum jemand würde heute bestreiten, dass das Leben in der Spätantike zumindest im Mittelmeerraum in vielerlei Hinsicht überregional ausgerichtet und von einer hohen Mobilität geprägt war. Dagegen hält sich bis heute das Vorurteil, dass im Frühmittelalter eine Verengung politischer und kultureller Denkräume erfolgte. Vor allem am nordwestlichen Rand des sich zurückziehenden römischen Reiches, in Britannien, entstanden unter germanisch- oder keltischsprachigen Stammesfürsten kleine Königreiche, die sich im ständigen kriegerischen Wettstreit miteinander befanden. In diesen Königreichen bildete sich eine volkssprachliche Literatur heraus, die sich vor allem auf den Nordseeraum konzentrierte und zumindest auf den ersten Blick thematisch erstaunlich abgeschlossen erscheint. Selbst Rom – immerhin der Sitz des Papstes – spielt darin kaum eine Rolle.

Es gibt genügend Hinweise darauf, dass die frühmittelalterlichen Kultur- und Denkräume keineswegs so abgeschlossen waren, wie es die überwiegend national ausgerichtete Philologie und Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gern behauptete.

Es gibt jedoch genügend Hinweise darauf, dass die frühmittelalterlichen Kultur- und Denkräume keineswegs so abgeschlossen waren, wie es die überwiegend national ausgerichtete Philologie und Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gern behauptete. Gerade im deutschsprachigen Raum (aber nicht nur dort) waren es Philologen wie Jakob Grimm – Wissenschaftler, die sich mit der Erforschung alter Texte und deren Sprachformen beschäftigten –, die sich der Literatur des Mittelalters erstmalig annahmen. Sie und ihre Nachfolger projizierten dabei ihre eigenen Vorstellungen eines weitgehend homogenen, durch eine gemeinsame Sprache und Abstammung verbundenen ‚Volkes‘ auf die mittelalterlichen Kulturen und Gesellschaften, die jene Texte hervorgebracht hatten. So wurden etwa die Reiche der frühmittelalterlichen Merowinger und Karolinger – sogenannte ‚fränkische‘ Herrscherfamilien, die über eine Vielzahl unterschiedlicher und nicht besonders einheitlicher ‚Stammesverbände‘ herrschten – als Vorläufer eines Nationalstaats „Deutschland“ betrachtet, der als solcher bis 1871 gar nicht existiert hatte. Obwohl diese nationalistisch geprägte Vorstellung eines einheitlich ‚germanischen‘ Kulturraums, aus dem sich die späteren Nationalkulturen ‚germanischsprachiger‘ Länder wie Deutschland oder England in direkter Linie entwickelt hätten, wissenschaftlich nicht haltbar ist, wirken viele der damals verbreiteten Thesen und Vorurteile (etwa in Hinsicht auf Kultur und Religion) bis heute insbesondere in populären Darstellungen frühmittelalterlichen ‚Germanentums‘ fort.

Wir möchten in diesem Beitrag einen Blick auf eine im 8. Jahrhundert in Britannien geprägte und mit einer arabischen Inschrift versehene Münze werfen, deren Existenz ein ganz anderes Bild des Frühmittelalters zeichnet.

Britannien im Frühmittelalter

Nach dem Ende der römischen Herrschaft im frühen 5. Jahrhundert zerfiel die ehemalige römische Provinz Britannia in eine Vielzahl kleinerer Königreiche. Deren Herrscherschichten, die sich zunächst wahrscheinlich noch als römische Bürger verstanden, begannen sich zwar mit der Zeit als ‚englisch‘, ‚kymrisch‘ (walisisch), ‚irisch‘ (schottisch-gälisch) oder ‚piktisch‘ zu definieren, die Bevölkerungsgruppen blieben aber noch über Jahrhunderte mehrsprachig und multiethnisch. Susan Oosthuizen: The Emergence of the English (Leeds: Arc Humanities Press, 2019); Alaric Hall: „Interlinguistic Communication in Bede’s Historia ecclesiastica gentis Anglorum.“ Interfaces between Language and Culture in Medieval England: A Festschrift for Matti Kilpiö, hg. von Alaric Hall, Agnes Kiricsi und Olga Timofeeva, mit Bethany Fox, The Northern World, 48 (Leiden: Brill, 2010), pp. 37–80. Gleichzeitig war vor allem die Geistlichkeit weit über die Grenzen Britanniens vernetzt. Frühe Bischöfe der ‚englischen Kirche‘ (die „ecclesia gentis Anglorum“, wie sie der frühmittelalterliche Geistliche Beda in seiner Kirchengeschichte nannte) kamen aus Frankreich, Italien und Nordafrika, so z.B. Paulinus von York, der in Italien geboren wurde, oder Theodor von Tharsus, der siebte Erzbischof von Canterbury. Umgekehrt waren Mönche mit englischen Namen Angehörige von Klöstern auf dem Kontinent und hinterließen in dort verfassten Handschriften altenglischsprachige Erklärungen und Randbemerkungen. Der Geschichtsschreiber und vielseitige Gelehrte Beda selbst zählte europaweit zu den angesehensten Autoritäten auf den Gebieten der Bibelauslegung und des Computus (der Berechnung des sich jährlich ändernden Osterdatums). Zudem unternahmen im 8. und 9. Jahrhundert neben Adligen und Geistlichen auch einfache Menschen Pilgerfahrten nach Rom und sogar Jerusalem. Zeitweilig gab es in Rom sogar eine Art „Hostel“ für englischsprachige Pilgerreisende, die „Angelcynnes scole“.

Offas Münze und ihre Inschriften

Die Münze zeigt, dass sich kulturelle Austauschprozesse nicht allein auf Europa oder gar die christliche Sphäre beschränkten.

Die eingangs erwähnte Münze im British Museum zeigt, dass sich solche überregionalen Austauschprozesse nicht allein auf Europa oder gar die christliche Sphäre beschränkten.

Die Münze stammt aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts und trägt auf der einen Seite die Inschrift „OFFA REX“ („König Offa“) in lateinischen Buchstaben. Offa war von 757 bis zu seinem Tod 796 König von Merzien, einem Königreich in den englischen Midlands, das sich damals auf dem Höhepunkt seiner Macht befand. Die zweizeilige lateinische Inschrift wechselt sich spiegelverkehrt mit einer arabischen Inschrift ab, die sich als „muḥammad rasūl allāh“ transkribieren lässt: „Muhammad (ist) der Gesandte Gottes.“ Auf der gegenüberliegenden Münzseite befindet sich der Anfang der arabischen Inschrift: „lā ilāh illā allāh waḥdah lā šarīk lah“ („kein Gott außer Gott allein, kein Teilhaber ihm“). Zusammen ergeben die beiden Inschriften eine Kurzform der Schahāda, des islamischen Glaubensbekenntnisses: „lā ilāha illā-llāhu waḥdahū lā šarīka lahū muḥammadun rasūlu-llāhi“ („Es ist kein Gott außer Gott allein, er hat keinen Teilhaber. Muhammad ist der Gesandte Gottes“). Von der arabischen Inschrift aus gesehen steht Offas Name also auf der Rückseite.

Von der arabischen Inschrift aus gesehen steht Offas Name auf der Rückseite.

Offas Münze (Vorderseite)
Abb. 1: Offas Münze (Vorderseite), Münze/ Dinar, 2. Hälfte 8. Jahrhundert, Gold, ⌀ 20 mm, 4,276g schwer, The British Museum, London, Inv.Nr. 1913,1213.1
Offas Münze (Rückseite)
Abb. 2: Offas Münze (Rückseite), Münze/ Dinar, 2. Hälfte 8. Jahrhundert, Gold, ⌀ 20 mm, 4,276g schwer, The British Museum, London, Inv.Nr. 1913,1213.1

Zusätzlich sind beide Münzseiten entlang des Randes mit weiteren arabischen Inschriften versehen. Jene auf der Vorderseite (von der arabischen Hauptinschrift aus betrachtet) ist eine religiöse Botschaft, kombiniert aus verschiedenen Koranversen: „muḥammad rasūl allāh arsalah bi-al-hudā wa-dīn al-ḥaqq li-yuẓhirah ˓alā al-dīn kullih“, vollständig ausgeschrieben „muḥammadun rasūlu-llāhi, arsalahū bi-l-hudā wa-dīni-l-ḥaqqi li-yuẓhirahū ˓alā-d-dīni kullihī“ („Muhammad ist der Gesandte Gottes, den er [Gott] mit der Rechtleitung und der wahren Religion [ent]sandte, damit er [Gott] sie obsiegen lasse über alle Religion“). Die Randinschrift der Rückseite vermerkt das Prägedatum: „bi-(i)sm allāh ḍuriba hāḏā al-dīnār sanah sab˓ wa-ḫamsīn wa-miʾah“, ausgeschrieben „bi-smi-llāhi, ḍuriba hāḏā-d-dīnāru sanata sab˓in wa-ḫamsīna wa-miʾatin“ („Im Namen Gottes. Dieser Dinar wurde geprägt im Jahre hundertsiebenundfünzig“). Wie die Internetseite des British Museum anmerkt, handelt es sich dabei offensichtlich um das Prägedatum jener Münze, die als Vorbild für die merzische Nachahmung fungierte. Das Jahr 157 der islamischen Zeitrechnung entspricht dem Jahr 773–774 christlicher Zeitrechnung und fällt in die Regierungszeit des abbasidischen Kalifen Abū Dscha˓far ˓Abd Allāh ibn Muhammad ibn ˓Alī al-Mansūr bi-llāh (95–158 AH oder 714–775 AD) – die merzische Goldmünze ist also die Nachahmung eines zeitgenössischen arabischen Dinars.

Die Münze im historischen Kontext

Es ist unwahrscheinlich, dass die merzischen Münzpräger die arabische Inschrift lesen konnten. Dass Offas Name auf derselben Seite erscheint wie das Prägedatum, das den einzigen nicht-religiösen Inhalt der arabischen Inschrift darstellt, ist vermutlich Zufall. Mit Sicherheit wussten die Präger oder ihre Auftraggeber jedoch, dass es sich um arabische Schriftzeichen handelte; vielleicht ahnten sie auch, dass es um islamisch-religiöse Inhalte ging.

Obwohl die Münze offensichtlich aus Merzien stammt, ist über ihre frühere Geschichte nichts bekannt. Sie wird erstmalig in Rom erwähnt. Daraus schlossen Experten zunächst, dass die Münze ein Geschenk an den Papst gewesen sein könnte. So wenig die Tatsache, dass die Münze in Rom entdeckt wurde, für sich genommen für diese These spricht, so wenig überzeugend klingt aber auch das Gegenargument auf der Webseite des British Museum: „[I]t is unlikely that any Christian king would have sent the pope a coin with and [sic!] inscription stating that ‘there is no God but Allah alone’.“ Es ist ungewiss, wie weit verbreitet die Lesefertigkeit arabischer Inschriften in Britannien und selbst im Rom des 8. Jahrhunderts war – falls also Offa tatsächlich diese Münze zusammen mit anderen an den Papst gesandt hätte, hätten vermutlich weder er noch der Papst den tatsächlichen Inhalt der Schriftzeichen lesen können. Aber selbst gesetzt den Fall, dass die Inschrift hätte entziffert werden können oder ihr Inhalt anderweitig bekannt war, so dürfte gerade dieser Teil der Inschrift wenig brisant erschienen sein, müsste doch „Allah“ hier richtigerweise als „Gott“ übersetzt werden. Wenn in mittelalterlichen christlichen Texten Muslime als „Heiden“ bezeichnet werden, dann zumeist mit dem Hinweis, dass sie die Gottheiten „Mohammed“ und „Tervagant“ anbeteten – die Bezeichnung „Allah“ spielt dagegen keine Rolle. Mit anderen Worten: Wer die arabische Inschrift lesen konnte, hätte sich nicht so sehr an Wörtern wie „ilāh“ oder „allāh“ gestört, sondern daran, dass Mohammed als Gesandter Gottes bezeichnet wird. Aber selbst dies muss nicht gegen die These des Papstgeschenks sprechen: Spätestens ab dem 11. Jahrhundert sind hunderte Beispiele arabischer oder pseudo-arabischer Schriftzeichen in der europäischen Kunst bekannt, u.a. in der Buch-, Glas- und Wandmalerei, aber auch auf königlichen Gewändern und kirchlichen Wandbehängen.

Spätestens ab dem 11. Jahrhundert sind hunderte Beispiele arabischer Schriftzeichen in der europäischen Kunst bekannt.

Auf einem Madonnen-Triptychon, das im Florenz der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstand, ist sogar eine spiegelverkehrte Schahāda im Heiligenschein der Mutter Gottes zu erkennen – der historische Kontext legt nahe, dass der Künstler Masaccio (1401–1428) und seine Auftraggeber die Bedeutung der Schriftzeichen durchaus kannten. Rudolf Sellheim: „Die Madonna mit der Schahâda.“ Festschrift Werner Caskel: Zum siebzigsten Geburtstag 5. März 1966 gewidmet von Freunden und Schülern, hg. von Erwin Gräf (Leiden: Brill, 1966, 307–15).

Plausibler scheint dennoch ein anderer politischer Kontext für das Auftauchen der Münze auf dem europäischen Kontinent. Die letzten Jahre von Offas Herrschaft waren u.a. von seinem spannungsreichen Verhältnis zum Hofe Karls des Großen gekennzeichnet. Obwohl ein Streit über mögliche Eheschließungen zwischen den beiden Herrscherhäusern zwischenzeitlich den Kontakt zum Erliegen gebracht hatte, existiert ein an Offa gerichteter Brief Karls des Großen aus dem Jahr 796, in dem Karl u.a. über englische Pilger auf dem Kontinent, diplomatische Geschenke und vor Offa ins Exil Geflohene spricht, die am fränkischen Hof Zuflucht gesucht hatten. Auch Handelsbeziehungen erwähnt der Brief. Für unseren Kontext ist dabei zudem nicht unerheblich, dass sich das merzische Münzwesen unter Offa dezidiert an karolingischen Vorlagen orientierte. Auch karolingische Münzwerkstätten stellten nachgebildete Dinare her, um sie im überregionalen Handel zu nutzen. Da arabische Münzen im mediterranen Raum ein wichtiges Zahlungsmittel darstellten, ist es laut Informationstext des British Museums möglich, dass Offa mit Münzen wie der hier abgebildeten versuchte, im mediterranen Raum an Geltung zu gewinnen: Immerhin trug der „Dinar“ neben einer arabischen Inschrift, die seine Akzeptanz als Zahlungsmittel auf mediterranen Märkten sichern sollte, auch Offas Namen und Titel.

Der „Dinar“ diente möglicherweise nicht nur als Zahlungsmittel auf mediterranen Märkten, sondern verschaffte gleichzeitig König Offa internationale Geltung.

Abb. 3: Detail von Abb. 2, Offas Münze, zentrale Inschrift der Rückseite (rechts: Transkription der Inschrift)
Abb. 3: Detail von Abb. 2, Offas Münze, zentrale Inschrift der Rückseite (rechts: Transkription der Inschrift)

Unabhängig davon, für welchen Zweck Offas ‚Dinar‘ ursprünglich hergestellt wurde, bezeugt die in Italien gefundene, mit einer arabischen Inschrift versehene Münze das Ausmaß von Offas politischen und wirtschaftlichen Ambitionen und belegt die Existenz von Handelsnetzwerken und kulturellen Verquickungen, die weit über Nordwesteuropa hinausweisen. Selbst die Tatsache, dass der Titel „Offa rex“ im Verhältnis zur arabischen Inschrift auf dem Kopf steht (vom Informationstext des British Museum als Hinweis darauf gedeutet, dass die Münzpräger den arabischen Text nicht verstanden), ist Teil der bildlichen Verflechtungsmetaphorik der Münze, auf der lateinische und arabische Zeichen, vertikal gespiegelt, voneinander abgehoben und doch gleichzeitig interlinear miteinander verwoben sind.

Die Verflechtung arabischer und lateinischer Buchstaben kann selbst als Metapher für die Art und Weise stehen, in der christliche und islamische Sphären trotz aller Unterschiede als wirtschaftlich wie auch politisch miteinander verwoben angesehen wurden.

Jan-Peer Hartmann ist Anglist und arbeitet als Post-Doc am SFB 980 Episteme in Bewegung. Andrew James Johnston ist Professor für Englische Philologie mit einem Schwerpunkt Literatur des Mittelalters und der Renaissance an der Freien Universität Berlin sowie Projektleiter am SFB 980. Jan-Peer Hartmann und Andrew James Johnston haben den vorliegenden Blogbeitrag unter Mitarbeit des Arabisten und Islamwissenschaftlers Andreas Ismail Mohr verfasst.

Hervorgegangen aus der SFB-Arbeit der beiden Autoren ist jüngst das Buch Material Remains. Reading the Past in Medieval and Early Modern British Literature, hg. v. Jan-Peer Hartmann und Andrew James Johnston, Ohio State University Press, Juli 2021.