Bevor der dänische Astronom Ole Rømer bewies, dass Licht eine endliche Geschwindigkeit hat, hielt man die Lichtausbreitung gemeinhin für „instantan“. Doch was war damit überhaupt gemeint?
Wer beteuert, etwas „mit Lichtgeschwindigkeit“ erledigen zu wollen, macht sich gleich verdächtig. Denn dem Ausdruck wohnt eine Übertreibung inne, die sich nicht verlustfrei mit „sehr, sehr schnell“ übersetzen lässt. Wer ihn verwendet, suggeriert seinem Gegenüber vielmehr, dass sich wirklich nichts mehr zwischen Vorhaben und Umsetzung schiebt; dass das hingehaltene Gegenüber nicht eine kurze, sondern viel eher keine Zeit mehr zu erdulden habe. In diesem Sinne ist der Ausdruck verwandt mit anderen, beschwichtigenden Floskeln, die uns eine Handlung als „sofort“, „augenblicklich“ oder „unverzüglich“ ankündigen. Im alltäglichen Sprachgebrauch fallen also Lichtgeschwindigkeit und Unmittelbarkeit meistens zusammen – wir können das zum Beispiel an Ausdrücken wie „Sofortnachricht“, „Echtzeitüberweisung“ oder „Liveübertragung“ nachvollziehen. Die sprachlichen Unschärfen entspringen einer relativen Unschärfe unserer Zeitwahrnehmung – einer Unschärfe, die uns den Eindruck vermittelt, wir seien zu jeder Zeit so etwas wie unverzögerten Wirkungen ausgesetzt; sogar noch, wenn wir mit Personen oder Dingen in großer räumlicher Distanz in Interaktion treten.
Wissens- und Medienhistorikerinnen sprechen in dem Zusammenhang von Vorstellungen von Instantanität. Siehe hierzu besonders Florian Spenger, Medien des Immediaten. Elektrizität, Telegraphie, McLuhan, Berlin 2012. Allgemein überwiegt der Eindruck, dass zwar das Adjektiv „instantan“ in unterschiedlichen wissens- und medienhistorischen Arbeiten recht geläufig ist – von einer klar profilierten Erforschung historischer Formen und Behauptungen der Instantanität kann aber nicht die Rede sein.Diese substantivierte Form des neulateinischen instantaneus oder des englischen instantaneous stellt einen im Grunde recht jungen Forschungsbegriff dar. Annahmen über die Unmittelbarkeit von bestimmten Phänomenen liegen historischen Argumenten nämlich häufig zugrunde, ohne dass sie ausdrücklich reflektiert werden. Erst im Zuge ihrer schrittweisen Widerlegung kristallisiert sich, gleichsam aus dem historischen Rückblick, das teils noch heute wirksame „Phantasma der Instantanität“ heraus. Florian Spenger, „Was fließt, sprudelt nicht: Packet Switching und die Instantanität der Übertragung“, in: ders. Politik der Mikroentscheidungen, Milton Keynes 2015, S. 97. Angesiedelt wird dieser Prozess zumeist im langen 19. Jahrhundert – die Entwicklung der elektrischen Telegraphie, die Wahrnehmungsexperimente von Hermann von Helmholtz oder die spezielle Relativitätstheorie markieren dabei einige wichtige Zäsuren. Vgl. exemplarisch Peter Galison, Einsteins Uhren, Poincares Karten. Die Arbeit an der Ordnung der Zeit, Frankfurt a. M. 2003. Siehe auch Erik Christopher Born, Sparks to Signals: Literature, Science, and Wireless Technology, 1800-1930, Dissertation, Berkeley 2016. Und jüngst: Christoph Borbach, Delay – Mediengeschichten der Verzögerung, 1850-1950, Berlin 2024.Selten greifen Untersuchungen vor diese Entwicklungen zurück und nehmen zum Beispiel auch die Debatte über sogenannte „Fernwirkungen“, wie sie Isaac Newton im späten 17. Jahrhundert in seiner klassischen Mechanik voraussetzte, in die Wissensgeschichte der Instantanität auf.
Eine Verzögerung, die sich nicht anders als durch die Laufzeit des Lichtes erklären lässt
Licht und seine Ausbreitung dagegen beschreiben einen frühneuzeitlichen Erfahrungsbereich, der in der Ausrichtung einschlägiger Untersuchungen auf die Elektrizität und den Elektromagnetismus häufig aus dem Blick gerät. Genau diesem Vorfeld der Geschichte instantaner Vorstellungen hat sich mein Beitrag nun verschrieben. Das heißt: Ich möchte die medien- und kommunikationstechnischen Entwicklungen, auf welche die frühneuzeitliche Debatte über unmittelbare Wirkungen hinführt, vorübergehend zurückstellen, und stattdessen die diskursiven Bedingungen, die ihr vorausliegen, skizzieren: Was genau war durch die Vorstellung instantaner Lichtausbreitung bezeichnet? Und handelte es sich bei ihr lediglich um eine Hilfskonstruktion, um ein der sinnlichen Wahrnehmung entzogenes Phänomen artikulieren zu können, oder regelrecht um eine dogmatische Tradition?
Wer in Geschichtsbüchern nachschlägt, bis wann die Mehrheit der Naturphilosophen die Lichtgeschwindigkeit für eine indefinite Größe hielt, stößt schnell auf das Datum 1676. In diesem Jahr erbringt der dänische Astronom Ole Rømer den ersten empirischen Nachweis für die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Der entsprechende Beweis wurde erstmals 1676 unter dem Titel „Demonstration touchant le mouvement de la lumière trouvé par M. Rómer de l’Académie Royale des Sciences“ im Journal des sçavans publiziert.Zum Verhängnis der durchschlagenden Wirkung seiner Erkenntnis gelingt ihm dies auf der Grundlage einer äußerst filigranen astronomischen Beobachtung: Rømer bemerkt, dass der Schattenaustritt des ersten Jupitermondes Io von seinen zuvor erstellten Berechnungen um wenige Tage abweicht. Er ermittelt eine Verzögerung, die er sich schließlich nicht anders als durch die Laufzeit des Lichtes, das zwischen Himmelskörper und Beobachter verkehrt, zu erklären weiß.
Die profane Logik des Ausschlussverfahrens bringt nicht nur eine alte, naturphilosophische Hypothese zu Fall. Vielmehr durchkreuzt Rømers Definition, auf einer weiteren Ebene, auch eine religiöse Anschauung. Denn die unverzögerte Ausbreitung und Wahrnehmung des Lichtes galt in der Theologie oft als ein traditionelles Sinnbild, als eine Art Erklärungsmodell für die Wirkmacht des christlichen Gottes. Eine Übersicht über die frühneuzeitliche Lichtsemantik und -metaphorik gibt Thomas Leinkauf, „Die Implikationen des Begriffs Licht in der frühen Neuzeit“, in: Carolin Bohlmann und Philipp Weiss (hrsg.), Lichtgefüge des 17. Jahrhunderts. Rembrandt und Vermeer – Leibniz und Spinoza, Leiden 2007, S. 91-110.Lichtausstrahlung machte sowohl als Erfahrungsgegenstand als auch als abstraktes Prinzip plausibel, was es heißen könne, gleichermaßen in der Zeit und außerhalb der Zeit zu agieren. Nicht gerade eine häretische Sprengkraft, aber doch eine gewisse Friktion mit geltenden Glaubenssätzen lässt sich Rømers Beweis folglich kaum aberkennen. Und doch entfacht seine Publikation, erst im Pariser Journal des sçavans und später in den Londoner Philosophical Transactions, keine überdisziplinäre Debatte. Vereinzelt erhält Rømer fachlichen Einspruch, namentlich von seinem Vorgesetzten Giovanni Domenico Cassini und dem englischen Mikroskopisten Robert Hooke, aber keine Verleumdungen. Als der Mathematiker Christiaan Huygens wenige Jahre später die Lichtgeschwindigkeit mit 131 Tausend Meilen in der Sekunde beziffert, stößt auch dies nicht auf breiten, dogmatischen Widerstand. Christiaan Huygens, Traité de la Lumière, Leiden 1690.
Gegenüber dem Graben, der sich zwischen den kalendarischen Tabellen und der beobachtbaren, kosmischen Zeit der Planetenkörper aufspannte, musste die Laufzeit ihres Lichtes als vernachlässigbarer Faktor erscheinen
Vielmehr ist zu beobachten, dass der Geltungs- und Wirkungsbereich von Rømers Beweis innerhalb der fachlichen Diskussion unter Zeitgenossen überwiegend auf seinen Herkunftsbereich beschränkt blieb – nämlich die astronomische Beobachtung, Berechnung und Vorhersage. Der französische Gelehrte Bernard de Fontenelle lehnte eine Ausdehnung oder gar Universalisierung der These von der endlichen Lichtgeschwindigkeit ab: „[…] car une hypothêse est obligée de répondre à tout.“ (Bernard de Fontenelle, „Sur la seconde inégalité des Satellites de Jupiter“, in: Histoire de l’Académie Royal des Sciences, Année MDCCVII, Paris 1707, S. 77-81, hier S. 79.In diesem Wissensgebiet war man zweifellos weitaus gröbere Maßstäbe gewohnt. Gegenüber dem Graben, der sich beispielsweise seit dem Spätmittelalter zwischen den kalendarischen Tabellen und der beobachtbaren, kosmischen Zeit der Planetenkörper aufspannte, musste die Laufzeit ihres Lichtes zunächst als vernachlässigbarer Faktor erscheinen. Siehe hierzu die klassische Studie von John Lewis Heilbron, The Sun in the Church: Cathedrals as Solar Observatories, Cambridge (Mass.) 1999.Darüber hinaus blieb auch die praktische Dimension des Lichtes, seine Integration in der Kunst, Kommunikation und Architektur, seine Funktion in Mess- und Schauinstrumenten, ferner seine Mathematisierbarkeit in der Optik und Dioptrik, von Rømers theoretischen Durchbruch weitgehend unberührt.
Noch eine weitere Erklärung ist denkbar, weshalb Rømers Erkenntnis in ihrem subversiven Potenzial unerkannt geblieben ist. Was dem dänischen Astronomen zu verzeitlichen gelang – den Weg, den das Licht bis zu seinem Eingang in die menschliche Wahrnehmung zurücklegt – stellte nämlich keineswegs eine theoretisch unbelastete Größe dar. Vielmehr wurde sie in früheren Wissenstraditionen antizipiert – und zwar paradoxerweise ausgerechnet innerhalb jener religiös-dogmatischen Traditionen, die im Licht gemeinhin das Wirken einer höheren Macht verwirklicht sahen. Ich vernachlässige an dieser Stelle eine Tradition von historischen Argumenten gegen die instantane Lichtausbreitung, die von Empedokles über Alhazen bis Roger Bacon reicht. Siehe dazu Abdelhamid Ibrahim Sabra, Theories of Light from Descartes to Newton, London 1967, insbes. S. 17–69.So zum Beispiel in der neuplatonischen und christlichen Mystik, wo Licht von jeher den Gegenstand unterschiedlichster Vermittlungen bildete – ausgehend von dem „ersten Licht“ oder dem „Licht vor dem Licht“, das am Anfang der Schöpfung gestanden habe. Ich meine an dieser Stelle vor allem die christlich-neuplatonische Philosophie, siehe Werner Beierwaltes, „Die Metaphysik des Lichtes in der Philosophie Plotins“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 15/3 (1961), S. 334–362.Indem ein solcher Gang des Lichts durch die Materie in Form Abspiegelungen zwar nicht unbedingt eine zeitliche, aber doch eine sukzessive Folge vorstellen ließ, besaß Licht dort schon immer bereits eine Art „Geschichte“ – ein „kosmisches Drama“, um ein Wort Hans Blumenbergs aufzunehmen. Hans Blumenberg, „Licht als Metapher der Wahrheit“, in: ders. Ästhetische und Metaphorologische Schriften, Frankfurt a. M. 2001, hier S. 153.Dass die Erzählung solcher kosmischen Dramen selten ohne Verben wie emanere, effluere und emittere auskam, und sich also einer Metaphorik des Hinausfließens und Ausströmens bediente, verdeutlicht bereits die Not, instantane „Bewegungen“ widerspruchsfrei zu artikulieren.
Wo die sprachliche Vermittlung versagt, reüssiert die graphische Darstellung
Wo die sprachliche Vermittlung versagt, reüssiert dagegen die graphische Darstellung. Hier, in den Diagrammen und Abbildungen der zeitgenössischen optischen Traktate, erlaubte die zweidimensionale Fläche des Papiers, die Dynamik der Lichtausbreitung auch noch bis zur zehnfachen Brechung oder Spiegelung sozusagen festzustellen, zu fixieren. Vgl. hierzu beispielhaft die Frontispize von Athanasius Kircher, Ars magna lucis et umbrae in decem libros digesta, Rom 1646 und Emmanuel Maignan, Perspectiva horaria sive de horographia gnomonica tum theoretica tum practica, Rom 1648.Die dabei unwissentlich ausgeschöpfte Möglichkeit, Lichtausbreitung in ihrer vermeintlichen Simultanität, in ihrer gleichzeitigen Anwesenheit an unterschiedlichen Raumkoordinaten vor Augen zu stellen, machte es erst einmal hinfällig, im selben Zuge nach ihrer definiten Geschwindigkeit zu fragen.
Meine These, dass gegenüber den Erkenntnissen von Rømer eine gewisse Indifferenz vorherrschte, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frage nach der endlichen Lichtgeschwindigkeit noch wenige Jahrzehnte zuvor durchaus umstritten gewesen war. Ja, dass es prominente Fürsprecher des Argumentes für die instantane Lichtausbreitung gab, unter ihnen niemand geringeres als René Descartes. Im ersten Discours seines Traktates La Dioptrique – veröffentlicht 1637 als Teil der Sammelschrift Discours de la Methode – war es Descartes gelungen, die im Bildmedium vorgeprägte Feststellung der Lichtausbreitung in ein Lehrgleichnis zu übersetzen. Anschließend an ein Lob auf den menschlichen Gesichtssinn, und auf seine Schärfung durch die Herstellung optischer Linsen, bat Descartes seine Leserschaft, sich in die Rolle eines Spaziergängers hineinzuversetzen, der sich bei Nacht auf unwegsamen Gelände bewegt. Allein vermittels eines tastend in der Hand geführten Stockes (bâton) erschließen sich diesem gedachten Spaziergänger – später ist die Rede von einem „Blinden“ (ceux qui […] nés aveugles) – die Gegenstände seiner unmittelbaren Umgebung. Wobei sich, laut Descartes, der zwischen den Enden des Blindenstocks „wandernde“ Impuls, gleichwie die Lichtbewegung, die zwischen den „leuchtenden Körpern“ (les corps […] lumineux) und unseren Augen verkehre, ohne jede Verzögerung mitteile. René Descartes, Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences, Leiden 1637, hier S. 12.Das moderne Urteil über das berühmte Lehrgleichnis fällt erwartbar verhalten aus. Verwegener noch als seine Ignoranz gegenüber der endlichen Geschwindigkeit von Druckwellen erscheint heute seine Nähe zur bereits damals überholten Theorie der Sehstrahlen. Vgl. exemplarisch Claus Zittel, Theatrum philosophicum: Descartes und die Rolle ästhetischer Formen in der Wissenschaft, Berlin 2009, S. 281-84.
Solange sich Licht mit unüberbietbarer Geschwindigkeit ausbreitet, entzieht sich dem Betrachter jeder Gesichtspunkt, auf den hin ein Verzögerungszusammenhang überhaupt ermittelt werden kann.
Doch schon zuvor, in seinem Briefwechsel mit dem Stevin-Schüler und Kopernikaner Isaac Beeckman, hatte Descartes Einwände gegen eine Laufzeit des Lichtes erhoben. Brief vom 22. August 1634. Vgl. René Descartes, Œuvres de Descartes: Correspondance Avril 1622 – Février 1638, ed. Charles Adam and Paul Tannery, erster Band, Paris 1897, S. 309f.Diese Vorstellung erschien ihm schon allein aufgrund der beobachtbaren Stringenz astronomischer Ereignisse wenig plausibel. So gebe etwa eine von der Erde aus betrachtete Mondfinsternis nicht den geringsten Hinweis darauf, dass das vom Mond gespiegelte Licht eine Zeit benötige, ehe es in die Sicht des irdischen Betrachters gelange. Zu keinem Zeitpunkt weiche der Mond auch nur um einen Grad von seiner kollinearen Position zur Sonne und zur Erde ab – im Falle einer endlichen Geschwindigkeit des Lichtes sei dies allerdings zu erwarten. An dem cartesianischen Einwand lässt sich nicht zuletzt das methodische Dilemma erkennen, Lichtverzögerung als Phänomen überhaupt zu isolieren und zum Gegenstand der Beweisführung zu erheben. Solange sich Licht mit unüberbietbarer Geschwindigkeit ausbreitet – noch nicht in einem theoretisch abgesicherten, aber in einem praktisch erfahrbaren Sinne – entzieht sich dem Betrachter jeder Gesichtspunkt, auf den hin ein Verzögerungszusammenhang überhaupt ermittelt werden kann. Ihm stellt sich das Problem der unhintergehbaren Kohärenz der Phänomene. Diesen Gedanken entlehne ich Spyros Sakellariadis, „Descartes’ Experimental Proof of the Infinite Velocity of Light and Huygens’ Rejoinder“, in: Archive for History of Exact Sciences 26/1 (1982), S. 1–12.
Jener methodischen Herausforderung stellt sich ungefähr zur gleichen Zeit wie Descartes auch Galileo Galilei. In seinen Discorsi e dimostrazioni matematiche von 1638 lässt der italienische Astronom seine Figur Salviati ein Experiment skizzieren, das Galilei, laut einer oft vertretenen Forschungsthese, wohl selbst ausgeführt haben dürfte. Galileo Galilei, Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze, Leiden 1638, S. 87f.Seine Schüler, die Cimento-Gründer Borelli und Viviani, sollten es ihm noch Jahrzehnte später, in geringfügigen Abwandlungen der ursprünglichen Anordnung, gleichtun. Vgl. hierzu Susana Goméz „Experiments and Thoughts on Light around the Accademia del Cimento“, in: Marco Beretta, Antonio Clericuzio, Lawrence Principe (hrsg.), The Accademia del Cimento and its European Context, Sagamore Beach: Watson Publishing International, 2009, S. 45–59.Vereinfacht gesagt besteht das Experiment aus zwei Personen, die einander mithilfe von Blendlaternen auf unterschiedliche Entfernung – die Rede ist anfangs von drei bis zehn Meilen – Lichtsignale übermitteln. In seiner Reaktion auf den Signalgeber hinreichend eingespielt, soll der Signalempfänger im exakten Moment der Lichtwahrnehmung seinerseits die Blendlaterne öffnen. Daraufhin ließe sich, so Salviati, für den Signalgeber bestimmen, ob eine Verzögerung vorliege.
Galileis Versuchsaufbau lässt neben der Kohärenz der Phänomene ein zweites, wesentliches Problem der Ermittlungsmethode erkennen: die seinerzeit unscharfe Trennung zwischen Physik und Sinnesphysiologie. Gegenüber der Laufzeit des Lichtes über die Entfernung weniger Meilen wächst die Reaktionszeit, die zwischen Lichtwahrnehmung und Öffnung der Laterne vergeht, regelrecht zu einer kleinen Ewigkeit an. Daran zeigt sich nicht zuletzt: Wo man noch vor Rømers Beweis an der Instantanität der Lichtausbreitung zweifelte, unterschätzte man die endliche Geschwindigkeit derselben oft in ganz erheblichem Maße. Dies ging mitunter so weit, dass man, wie Francis Bacon, die Lichtbewegung nur knapp unterhalb der Schwelle der okularen Wahrnehmung verortete. Francis Bacon, „Topica Inquisitionis de Luce et Lumine“, in: ders. The Works, II, ed. James Spedding, Robert Leslie Ellis, Douglas Denon, Cambridge 2011, S. 127-143. Hier S. 137.
Besonders dieser anfänglichen Unterschätzung wohnt ein Verdachtsmoment inne, eine frappante Einsicht, die sich in der wissenschaftlichen Literatur des 17. Jahrhunderts meines Wissens an nur zwei Stellen niederschlägt.
Zur Disposition steht nichts Geringeres als eine der letzten Verbindungen zwischen „Lebenswelt und Weltmodell“, die der Kopernikanismus noch nicht ausgeräumt hatte
An erster Stelle sind die im zweiten Buch des Neuen Organon enthaltenen Aphorismen des schon erwähnten Francis Bacon zu nennen. Francis Bacon, Novum Organum or True Suggestions for the Interpretation of Nature, London 1898 (Erstausgabe London: 1620), hier S. 238.Dort erwägt Bacon den „monströsen Zweifel“ (dubitatio monstrosa), ob nicht zwischen der Zeit des Sehvorgangs (tempus visum) und der „wahren Zeit“ (tempus verum) immer bereits ein Intervall liege, das uns den Zugang zu den Phänomenen gleichsam versperre – gemeint ist selbstverständlich die „Lichtverzögerung“ (mora lucis). Dass Bacon in diesem Zuge auf die veritas der Zeit und die wahrhafte Existenz der Himmelskörper (vere existit) abhebt, lässt den erkenntnistheoretischen Ernst seiner Überlegung erahnen. Zur Disposition steht dabei nichts Geringeres als eine der letzten Verbindungen zwischen „Lebenswelt und Weltmodell“, die der Kopernikanismus noch nicht ausgeräumt hatte: Hans Blumenberg, Die Genesis der Kopernikanischen Welt, Frankfurt am Main 1981, hier S. 630.Wenn unsere Wahrnehmung uns nicht einmal mehr verlässlich in eine zeitliche Einheit – und das hieß vor allem: in ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit – mit der physikalischen Welt setzt, wie ist sie dann überhaupt noch mit dieser in Einklang zu bringen?
Die zweite Stelle führt zurück auf die Korrespondenz zwischen Descartes und Beeckman; letzterer hatte sich in etwa zur selben Zeit wie Galilei mit praktischen Versuchsanordnungen zur Messung der Lichtgeschwindigkeit beschäftigt. Vgl. dazu Beeckmans Experimentbeschreibungen aus dem Jahr 1629, in: ders., Journal tenu par Isaac Beeckman de 1604 à 1634, ed. Cornélis de Waard, Den Haag 1939–1953, S. 112f.Sein letzter Entwurf sah wohl vor, einen Fackelträger im Abstand von einer Viertelmeile vor einem Spiegel zu positionieren, und ihn einfache Handbewegungen ausführen zu lassen. Die Möglichkeit, dass es Beeckman mit diesem Versuch in der Tat gelingen sollte, eine wahrnehmbare Lichtverzögerung nachzuweisen, beunruhigt seinen Briefpartner. Denn in diesem Falle würde, wie Descartes schreibt, seine gesamte Philosophie „in ihren Grundfesten erschüttert“ (totam meam Philosophiam funditus eversam). Brief vom 22. August 1634. Vgl. René Descartes, Œuvres de Descartes: Correspondance Avril 1622 – Février 1638, ed. Charles Adam and Paul Tannery, erster Band, Paris 1897, S. 307.Schlaglichtartig tritt in den Schriften von Bacon und Descartes demnach hervor, dass im engeren Sinne philosophische Konsequenzen aus der Frage nach der Instantanität des Lichtes dem siebzehnten Jahrhundert keineswegs fremd geblieben sind.
Sandro Paul Heidelbach ist seit 2023 Doktorant an der Yale Graduate School of Arts and Sciences, Gastdoktorant an der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule und geht in seinem aktuellen Forschungsprojekt frühneuzeitlichen Artikulationsformen von Instantanität nach.